«Wir arbeiten daran, die Zukunft des Programms zu sichern»

Auf Deutsch übersetztes Manuskript des Radiobeitrags von Anna Maria Nunzi, Zürich-Korrespondentin von Radio Televisione Svizzera, vom 14. März 2023. (Link zum O-Ton auf Italienisch)

In Zürich gibt es ein sehr strenges Auswahlverfahren für den Übertritt ins Gymnasium.  Kürzlich haben die Aufnahmeprüfungen stattgefunden. Immer mehr Eltern drängen ihre Kinder zu den Prüfungen und sind bereit, viel Geld für private Vorbereitungskurse auszugeben. Kurse, die sich viele benachteiligte Familien nicht leisten können. Um Kindern mit Migrationshintergrund den Übergang von der Sekundarschule ins Gymnasium zu erleichtern, gibt es seit einigen Jahren das Chagall-Programm. Doch nun hat das Zürcher Kantonsparlament beschlossen, die Mittel für dieses Programm zu streichen.

Mit 15 kein Wort Deutsch, heute ETH-Studentin

Ana Da Silva Rodrigues studiert Mathematik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Sie war fast 15 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus Portugal in die Schweiz auswanderte. Nach eineinhalb Jahren Sekundarschule in Zürich schaffte sie den Sprung ins Gymnasium.

«Als ich in die Schweiz kam, sprach ich kein Wort Deutsch», sagt sie rückblickend. «Ohne Unterstützung hätte ich die Aufnahmeprüfung nie geschafft. Ich hatte Glück, meine Klassenlehrerin in der Sekundarschule erkannte mein Potenzial und meldete mich für das Chagall-Programm an.»

Ein Programm, das ins Leben gerufen wurde, um Kinder von Einwanderern zu unterstützen, die ein Gymnasium besuchen wollen. In Zürich ist die Auswahl besonders streng, und es ist fast unmöglich, die Aufnahmeprüfung zu bestehen, ohne private Vorbereitungskurse zu besuchen, die sich die Eltern dieser Jugendlichen nicht leisten können.

ChagaLL wirkt!

Initiant von Chagall war Jürg Schoch, ehemaliger Rektor des Gymnasiums Unterstrass in Zürich: «Wir haben 2008 begonnen, jedes Jahr besuchen rund 20 begabte Jugendliche den Kurs, die vom akademischen Weg träumen, ihn aber ohne Unterstützung kaum realisieren könnten. Es geht nicht nur darum, sie auf die Prüfung vorzubereiten, sondern wir helfen ihnen, ihr Selbstvertrauen zu stärken und ihre Lerntechniken zu verfeinern.»

Das Programm ist erfolgreich, fast 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler schaffen die Matura. Deshalb wurde es von anderen Schulen im Kanton Zürich und auch in mehreren Kantonen der Deutschschweiz übernommen. Es ist für die Schülerinnen und Schüler kostenlos und wird grösstenteils aus Lotteriefonds finanziert. Gelder, die ab nächstem Jahr gemäss dem jüngsten Entscheid des Kantonsparlaments nicht mehr ausbezahlt werden.

Bildungsdirektion macht Hoffnung

«Wir arbeiten daran, die Zukunft des Programms zu sichern», sagt Niklaus Schatzmann, Leiter des Zürcher Mittelschul- und Berufsbildungsamts. «Da sich das Programm bewährt hat, wird unter anderem erwogen, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um die Finanzierung langfristig zu sichern. Allerdings würde es mindestens zwei Jahre dauern, bis sie in Kraft treten könnte. In der Zwischenzeit versuchen wir, das Loch zu stopfen, zum Beispiel mit der Unterstützung von Stiftungen.»

Ana Da Silva Rodrigues hofft, dass eine Lösung gefunden wird, denn dank Chagall hat sie ihre Berufung zum Unterrichten entdeckt. Seit sie die ETH besucht, betreut sie junge Menschen, die sich wie sie vor einigen Jahren auf die Matura vorbereiten. Am Ende ihres Studiums möchte sie Gymnasiallehrerin werden.

Ihr Leben, so betont sie, wäre ohne diese Unterstützung ganz anders verlaufen. Denn dank Chagall habe sie ihre Talente entdeckt und weiterentwickelt– so wie die meisten Jugendlichen, die jedes Jahr in das Programm aufgenommen werden.