Andrea Sison: Wie ich wieder zu mir selbst fand

Meine Mutter war ein Teenager, gerade mal 17 Jahre alt, als ich das Licht der Welt erblickte – auf den Philippinen, dem Land der vielen tausend Inseln. Wir lebten allerdings nur zwei Jahre in meinem Heimatland, dann entschloss sich meine Mutter, nach Kanada auszuwandern. Dort hat es mir sehr gut gefallen. Ich lernte ziemlich schnell Englisch, ging zur Schule und fand viele Freunde.

Ich war zehn, als mir meine Mutter erneut einen Umzug ankündigte. Sie hatte inzwischen meinen Stiefvater kennengelernt. Als mir beide die Nachricht überbrachten, in die Schweiz ziehen zu wollen, war ich sehr traurig, denn mein Leben in Kanada war toll und ich war mehr als zufrieden und glücklich. 

Rückblickend muss ich gestehen, dass es mir schwerfiel, Kanada und meine Freunde zu verlassen, und noch schwerer, mich in der Schweiz zurechtzufinden. Vor allem am Anfang hat mich Vieles verwirrt, die neue Sprache etwa oder die Mentalität der Leute. Als Kind war ich nie wirklich schüchtern, denn ich mag es, neue Freunde zu finden. Aber in der Schweiz konnte ich mich mit niemandem unterhalten, weil ich ja kein Deutsch sprach. 

Vom Neu-Sein in der Schweiz
Der Umzug veränderte mich eine Zeitlang stark, vor allem wurde ich schüchterner und hatte nicht mehr den Mut, so viel zu unternehmen wie früher. Ich sprach selten mit jemandem ausserhalb der Familie, und in den ersten Monaten fand ich kaum Freunde, weil ich meistens allein war.

Mein Stiefvater hat mir dann sehr geholfen, mein Tief zu überwinden und in der Schweiz anzukommen. Ein Jahr lang half er mir sehr viel in Deutsch; wir haben jeden Tag zusammen gelernt und einfache Kinderbücher gelesen. So lernte ich langsam Deutsch, schöpfte wieder Vertrauen in mich selbst und machte erste Freundschaften – da schlug das Schicksal in unserer Familie brutal zu.

Schicksalsschlag in der Familie
Mein Bruder erkrankte an Krebs, das hat uns alle total geschockt. Zu den Sorgen um meinen Bruder kamen neuen Sorgen in der Schule: Mein Vater hatte nun kaum mehr Zeit, mit mir zu lernen. Ich musste unabhängiger werden, allein Deutsch pauken, allein meine Hausaufgaben machen. Niemand half mir bei meinen Schulsachen, ich hatte fast nie Freizeit. An den meisten Tagen bin ich nach der Schule direkt ins Krankenhaus gefahren. Fast zwei Jahre lang.

Ich war 14, als ich erstmals vom Förderprogramm «Chagall» hörte. Ich wusste nicht, was das war, bevor meine Lehrerin es mir vorschlug. Nachdem ich mich darüber informiert hatte, erzählte ich meinen Eltern davon, und auch sie hielten es für eine gute Idee. Also habe ich mich angemeldet, den Test gemacht – und bestanden!

In den letzten zwei Jahren hatte Chagall grosse Bedeutung für mich, nicht nur, was die Schule angeht. Vielmehr habe ich gelernt, viele Dinge auf eine andere Art und Weise zu betrachten. Die Coaches haben mir auch eine Menge Tricks in Mathe gezeigt – und den einfachsten Weg, schwierige Gleichungen zu lösen.

FMS geschafft!
Chagall hat mir geholfen, meine Noten zu verbessern, nicht nur in Mathe und Deutsch, sondern auch in anderen Schulfächern, in denen ich Schwierigkeiten hatte. Ausserdem habe ich dort viele Leute mit den gleichen Problemen wie ich kennengelernt. Sich mit ihnen auszutauschen, hat mich enorm weitergebracht. Ich habe Chagall nie als zusätzliche Schule betrachtet, es war mehr ein Nachhilfeunterricht für alles, wofür ich Hilfe brauchte. Inzwischen bin ich 17 Jahre alt und besuche die Fachmittelschule (FMS). Ob ich dies ohne Chagall auch geschafft hätte? Ich weiss es nicht.